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Was man über Russland wissen kann

Mit dem Angriff auf die Ukraine haben viele Menschen ein Bedürfnis nach Informationen, nach Wissen über den post-sowjetischen Raum, über Vergangenheit und Gegenwart der Region. Verstehen möchten wir, warum das alles so kommen konnte. Aber woher nehmen,…

…wenn man doch kaum erkennen kann, welcher Information zu trauen ist. Und man würde gerne erwarten, oder erhoffen, daß man glaubwürdige Informationen auch aus nicht-westlichen Quellen erhält, denn schließlich gibt es nirgendwo die objektive Information. Zu allem Überfluss gibt es die scharfen russische Gesetze vom 4. März 2022, die fachkundige Stimmen aus der Region nahezu unmöglich erscheinen lassen. Wer also ordnet Dichte und Fülle, wer ordnet ein? Wer kann uns verständlich und ohne osteuropaspezifische Kenntnisse dies geben?

Doch, es gibt diese Informationen: Dekoder, das Online-Magazin. Seit 2014 hat sich eine Plattform etabliert, die journalistisches und wissenschaftliches Arbeiten zum postsowjetischen Raum, allen voran Belarus, Ukraine und Russland, auf innovative Weise verbindet. Ein multinationales Redaktionsteam, dessen Mitglieder eine journalistische, geistes- oder sozialwissenschaftliche oder sprachliche Ausbildung sowie einschlägige Erfahrungen von vor Ort, macht das möglich. Es gibt aktuelle journalistische Berichterstattung, es gibt Hintergrundwissen („Gnosen“), Specials mit (Bild-)Reportagen und auch visuelle Formate.

Zentrales Element sind die Artikel belarussischer, ukrainischer und russischer Journalisten/-innen, die zu verschiedenen Themen aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der jeweiligen Länder berichten, aber auch immer wieder die langanhaltenden Prägungen dieser Region durch die Sowjetzeit aufgreifen. Das alles ist gut recherchiert, zudem Vertrautheit mit der Region und Hintergrundwissen, durch die persönlichen Nähe zur Kultur dieser Länder und zum Geschehen. Es wird auch von und über periphere Regionen berichtet, die in der westlichen Berichterstattung häufig zu kurz kommen. Und vor allen Dingen, sie ersetzen sogar für uns die Arbeit der russischen und belarussischen Journalisten.

Das Magazin gibt aber auch anderen, mittlerweile verbotenen und/oder ins Ausland gedrängten Plattformen die Möglichkeit, neue Verbreitungskanäle zu eröffnen. Sie liefern uns Aufbereitungen offizieller staatlicher Positionen, Reden und Erlässe, die auf ihre politischen Grundannahmen und gesellschaftspolitischen Implikationen hin analysiert werden. So gelingt es den Machern, zwischen kritischen Stimmen und zunehmend aggressiver staatlicher Rhetorik jene Grauzonen auszuloten, durch die Bürger-/-innen der Russischen Föderation und Belarus in der jetzigen umfassenden Krise navigieren müssen.

Es wäre hier jetzt zu umfangreich, wollte man die verschiedenen Elemente ausführlich erläutern. Hinweisen wollen wir aber dann doch auf das Element der „Specials“, weil hier ganz unterschiedliche Themen tiefer ausgelotet werden und dabei medialen Experimenten viel Raum gegeben wird. Dabei läuft das Experimentelle jedoch nicht Gefahr Ernsthaftigkeit, Seriosität oder gar Wahrheitsgehalt zu verlieren. Hier werden Themen auf unterschiedlichen Wegen wissenschaftlich analysiert und dabei innovativ dargestellt. Dafür erhielt das Dekoder-Team 2021 seinen zweiten Grimme Online Award.

Empfehlenswert vielleicht aber doch: das Multimedia-Projekt „Archipel Krim“ von 2019, das Kreml-Projekt von 2021 und das Special „Das andere Minsk“. Und dann, um endlich wieder zum russischen Angriffskrieg zurückzukommen, sei auf die Rubrik mit Leseempfehlungen hingewiesen, die täglich aktualisiert besonders empfehlenswerte Analysen, aber auch individuelle Dokumentationen aus den Kriegsgebieten listet. In sachlichen Kurztexten werden in der Rubrik FAQ Ursachen und Legitimationsstrategien der russischen Seite dekodiert oder Faktoren für eine Einschätzung der künftigen Entwicklungen des Konflikts zusammengetragen.

Fazit

Die Nachfrage nach differenzierten Einschätzungen und Hintergrundwissen über Belarus, Russland und die Ukraine ist seit der Annexion der Krim 2014 gewachsen; seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sie nun Hochkonjunktur. Mit Hilfe des Online-Magazins Dekoder erhalten wir auf vielfältige Weise und aus unterschiedlichen Perspektiven, unseren derzeit großen Bedarf zu decken, ohne uns Leser zu überfahren oder hilflos zurückzulassen. Es ist eine besondere Leistung dieser Plattform, zu simple Perspektiven auf den postsowjetischen Raum, aber auch auf die Dynamiken des Krieges zu korrigieren. Wir erhalten ein genaueres Bild über die Dimensionen und Hintergründe des Krieges und lernen auch die Gesellschaften und Kulturen der Region besser kennen.

Wenn dann der Krieg hoffentlich bald vorbei sein wird, haben wir mit dem Dekoder auch ein Werkzeug, das uns dazu verhilft, den Osten Europas in seiner Vielfalt zu entdecken und dabei vielleicht auch zu erkennen, dass dieser gar nicht so außergewöhnlich ist und in Vergangenheit und Gegenwart ein mit Westeuropa gleichwertiger Teil unserer Geschichtsschreibung ist. Ein Magazin also mit einem gar nicht so kleinen Anspruch. Man sollte unbedingt mal hineinsehen.

https://www.dekoder.org/

Und wer dann immer noch mehr wissen will, möge auch mal die Seiten von Zeitgeschichte-online zu Rate ziehen.

Ellen Salverius-Krökel

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