Über einen Migrationsroman
Kürzlich fiel mir ein recht interessantes Buch über ein Gastarbeiterschicksal im Deutschland der 60er Jahre in die Hände, und weil es vom Umfang her nicht zu üppig ist, habe ich es mir recht bald vorgenommen. Das Lesen ging zügig, der Inhalt war, gerade auch vor dem Hintergrund unserer aktuellen Tagesthemen, nicht nur eben interessant, sondern auch spannend. Als ich es dann durchgelesen hatte, mußte ich mich erstmal zurück lehnen und nicht nur nachdenken, sondern auch schlucken ob der Dinge, die ich da gelesen hatte. Das hatte ich so nicht gewußt, das hatte ich in der Schule nicht gelernt. Verarbeiten war also angeraten, bevor ich einige Zeilen darüber schreiben konnte.
Natürlich, so dann recht bald mein erster Gedanke, waren diese Zeiten für die Gastarbeiter der ersten Generation nicht einfach. Aber dieses schmale Buch mit dem erstmal unverständlichen Titel Ante Lipic, beschreibt das Leben eines Arbeitsmigranten aus dem sozialistischen Jugoslawien der 1960er Jahre mit all seinen persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Verwicklungen und Schicksalsschlägen, dass man zwangsläufig ins Nachdenken kommt über diese Zeit. Dieses Buch über ein Gastarbeiterschicksal, geschrieben von Josip Krivic, ist angelegt als ein biographischer Roman, der aber nur zwei Jahre dieses Lebens umfasst. Es beschreibt zunächst die Mühen der Arbeitssuche in Jugoslawien, das gerade mit dem „Aufbau des Sozialismus“ beschäftigt war. Mühen waren es dabei vor allem für die häufig ungelernte Landbevölkerung. So auch für den Protagonisten Ante Lipic.
Wie viele seiner Landsleute erfährt er von der Möglichkeit in der wirtschaftlich prosperierenden Bundesrepublik Deutschland sein Glück zu suchen. So macht sich also auch Ante Lipic auf den recht mühseligen Weg, begleitet von etlichen Misslichkeiten, die Korruption war dabei wohl die üblichste. Er landet auf seiner Arbeitsstelle in Deutschland, er wird Bauarbeiter. Aber nicht lange währt es, da kommt er auch hier mit den „mitgereisten“ Seilschaften in Kontakt und so manche mühsam erarbeitete Mark wandert in anderer Leute Taschen, ganz so wie zu Hause. Der Anfang der häßlichen Intrige gegen ihn hatte da aber nur ihre Fortsetzung gefunden, die Saat dazu war schon in der Heimat gelegt worden.
Zu Hause ändert sich mit diesen „neuen Zeiten“ der heimgeschickten Devisen erst einmal das Leben. Stand die Partei ja sowieso über allem, fand sie auch hier immer einen Grund an den neuen kleinen „Reichtümern“ zu partizipieren, und sei es mit dem einen oder anderen niederträchtigen Druckmittel. Einen gierigen, korrupten, neidischen, gekränkten Parteisekretär gab es überall. Aber auch im Dorfleben gibt es Neid und Missgunst, es kam ja nicht jeder in den Besitz einer Arbeitserlaubnis. Die kleineren und größeren Geschenke halfen letztlich aber auch nicht die Missgunst der daheimgebliebenen zu besänftigen. Und schließlich waren da ja auch noch immer unverarbeitet Gefühle aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, was mit den neuen sozialistischen Machtgefühlen und den neuen Lebensverhältnissen eine mehr als ungute Gemengelage zu Tage beförderte.
Diese dunklen, kleingeistigen, bösen Machenschaften, gepaart mit der Unmenschlichkeit sozialistischer Umerziehungslager, die dann schließlich zur Tragödie nach nur zwei Jahren führte, zu verfolgen, treibt uns Leser voran, wir hadern zusammen mit Ante Lipic mit seinem Schicksal, runzeln die Stirn, stellen uns Fragen ob der Verhältnisse, können vieles gar nicht beurteilen. Mit dem Fortgang der Geschichte ist dann also recht bald zu erahnen, dass die Geschichte dieser Migration nicht gut ausgeht, nicht gut ausgehen kann. Was mit Schmiergeld begann ist am Ende dann eben reinste Intrige, gespeist aus Neid, Gier und Skrupellosigkeit. Dem Leser wird damit aber auch eine neue Form der Bedrohung in einem vom Krieg immer noch so hart gezeichneten Land, aufgezeigt. Wir Leser bekommen einen Einblick in die Lebensverhältnisse im Heimatland des Ante, wozu natürlich auch die politischen gehören. Wer wußte hier bei uns schon davon? Hier kann man es nun noch einmal gut nachlese, mit zeitlichem Abstand, zum Glück wissend um die Veränderungen zum Besseren. Und ganz nebenbei kann man auch hier schon die Basis finden für die Probleme, bis hin zum Krieg, des dann später zerfallenden Jugoslawien.
Dieses Buch beschreibt sehr eindrücklich zwei Jahre eines Lebens, sowohl im sozialistischen Jugoslawien, als auch im kapitalistischen Deutschland. Ante Lipic ist am Ende des Buches, so wie es im Untertitel heißt, wirklich heimatlos geworden, sein Leben ausweglos und sicherlich auch chancenlos gemessen an den Umständen, den großen und den kleinen. Dieses Buch, diese Geschichte, so erklärt uns der Autor Josip Krivic im Vorwort, soll nicht nur ein persönliches Schicksal mit all seinen Widrigkeiten nahe bringen, der Autor will uns auch aufzeigen, wie eine ganze Generation von Kroaten, und wir wissen, dass sie nicht die einzigen waren, versuchte, ihre persönlichen Probleme im Ausland zu lösen. Großer materieller Gewinn kann aber nicht die Probleme einer ganzen, unfreien, Völkergemeinschaft lösen, führt eher zu noch mehr Elend wie hier geschehen. Und zu allem Überfluß hat das fremde Land in seinen Augen nichts für Fremde, Ausländer übrig, ihre Arbeitskraft ja, aber nur so lange sie währt. Darum, so sein Schluß, kann ein Ausbruch aus der eigenen Schicksalsgemeinschaft nur zu einem erfolglosen persönlichen Existenzkampf führen. Dieser führt immer, so der Autor, zum Schaden des eigenen Volkes. Und dies kann man aus diesem Buch durchaus lernen, wenn man denn will.
Mir persönlich kam dann aber noch ein sehr gegenwärtiger Gedanke: ich bin in Versuchung gekommen, die Erkenntnisse über die Gefühle, die Lebenslagen, auch mit unseren heutigen Migranten, Flüchtlingen in Verbindung zu bringen. Wie fühlt man sich, wenn man dann endlich dort angekommen ist, wofür man so viel in Kauf genommen hat? Ist das der erfüllte Traum, die sich erfüllende Hoffnung? Und – kann man aus diesem Buch etwas dafür lernen?
Josip Krivic, 1929 in Dalmatien, Kroatien, geboren, nach Zwangsarbeit flüchtete er 1957 nach Deutschland, engagierte sich in der kroatischen Emigrantenbewegung und in weiteren kroatischen politischen und kulturellen Vereinigungen. Bis zu seinem Tod im Jahre 2005, verfasste er mehrere Novellen und Romane.
Das Buch ist im verlag regionalkultur erschienen
Ellen Salverius-Krökel