Zum Inhalt springen

Antisemitismus und Judenfeindlichkeit

Das Niederbeugen, um die Stolpersteine lesen zu können, möge als Verbeugung in Ehrfurcht vor diesen Verfolgten, aber auch als Scham für die Greuel des Hitlerregimes verstanden werden.
Gedenktafel am Jüdischen Friedhof Werne mit der kurzen Geschichte der Juden in dieser Stadt. Hervorgehoben die Jüdischen Familien in zeiten des Holocaust

Diese Stolpersteine wurden zum Andenken an die Opfer der Nazischreckensherrschaft ins Straßenpflaster eingelassen. Das Niederbeugen, um sie lesen zu können, möge als Verbeugen in Ehrfurcht vor diesen Verfolgten, aber auch als Scham für die Gräuel des Hitlerregimes verstanden werden. Mit seinem Kunstprojekt Stolpersteine hält der Künstler Gunter Demnig die Erinnerung an alle Opfer der Nazidiktatur lebendig. Stolpersteine und die Gedenktafel am Eingang eines Jüdischen Friedhofes zeugen von einer langen Zeit des Antisemitismus. (Fotos M. Budde)

Antisemitismus
Judenfeindlichkeit
Antijudaismus
Antike Judenfeindschaft
Entstehungen
Unterschiede
Erkennungsmerkmale
Aktuelle | seriöse Informationen

Was können wir tun?

In unserer Vorbereitung tauchten viele Fragen auf, von denen nur einige Stichpunkte hier aufgeführt werden. Wenngleich nicht alle einzeln beantwortet werden können, so mögen sich dennoch die Antworten darauf und vielleicht auch auf Ihre Fragen aus dem Gesamtinhalt oder aus den weiterführenden Hinweisen ergeben. Uns ist es wichtig, mit diesen Hintergrundinformationen jedem Leser die Möglichkeit zur eigenen Auseinandersetzung, aber auch Wissenserweiterung zu brennenden Themen unserer Tage an die Hand zu geben.

Wie kann ich ohne ausreichend fundiertes Wissen über die jeweiligen Hintergründe FÜR oder GEGEN etwas sein, wenn ich nur eine Quelle nutze?

Auf dieser Seite:
Stereotype und Vorurteile
Der Begriff Antisemitismus
Judenfeindlichkeit
Kurze Geschichte des Antisemitismus
„Gegen das Schweigen, Gegen Antisemitismus.“

Unser Blog zum Thema

Stereotype und Vorurteile

„Der ist ein Jude. Man erkennt ihn an der Hakennase“ oder „Kauf nicht bei Juden. Die können nur schachern“. Diese Äußerungen sind mir und manchem von uns Älteren noch im Ohr. Und heute werden wir erneut mit Stereotypen, Vorurteilen, vermeintlich plausiblen Erklärungen und Halbwahrheiten sowie unbewiesenen eigenen Deutungen historischer Fakten konfrontiert. Da tut Information not! Beginnen möchten wir mit Erklärungen zu „Stereotypen und Vorurteilen“ aus dem Lernprogramm der bpb vom 21.05.2014.

In Auszügen:
„Stereotypen dienen dazu, einen Gegenstand, eine Person oder eine Gruppe zu charakterisieren. Ein Vorurteil ist ein Urteil, das ohne vorherige Erfahrung über etwas gefällt wurde. Beide erfüllen für die Menschen die Funktion, Unsicherheit und Bedrohung psychisch abzuwehren.
… Stereotypen und Vorurteile sind äußerst resistent gegen Veränderungen, da diese die Persönlichkeitsstruktur betreffen. Kurz gesagt: Sie haben eine Entlastungsfunktion, sie steuern die Wahrnehmung und verhindern damit auch neue Erfahrungen, da die Vorurteilsbehafteten den Kontakt mit den Objekten ihrer Vorurteile vermeiden.
… Vorurteile und Stereotypen sind wie das liebgewonnene Mobiliar unseres Weltbildes, das ungern „umgeräumt“ wird.
… Stereotypen und Vorurteile sind „geistige Schubladen“
Quelle: bpb

► ► Der antisemitische Stereotyp
Über die Tradition des visuellen „Judenbildes“ in der deutschsprachigen Propaganda schreibt Julia Schäfer 2004 anschaulich in ihrem Aufsatz, bestückt mit vielen Beispielen und ausdruckstarken Karrikaturen auf der Seite „Zukunft braucht Erinnerung“.

► ► „an allem schuld – wie Antisemitismus funktioniert“ unter dieser Überschrift haben Berufene aus verschiedenen Disziplinen wie Geschichte, Politik, Soziologie, Germanistik, Jüdische Studien und Sozialwissenschaften seit einigen Wochenein ein neues Bildungsangebot an-allem-schuld.de ausgearbeitet, in dem das Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Sie zeigen damit allen Menschen jeden Alters, wie den Ängsten und Nöten der Menschen in heutiger Zeit durch Wissen begegnet werden kann. Hier einige Bereiche.

Was haben antisemitische Vorurteile mit Gerüchten zu tun?
Was sind Beispiele für antisemitische Vorurteile?
Vorurteil „Bosheit“
Vorurteil „Reichtum“
Vorurteil „Weltverschwörung“
Vorurteil „Fremdheit“
Vorurteil „Intelligenz“
Warum sind die antisemitischen Vorurteile so hartnäckig?

► ► Über die Entstehung des oben erwähnten Klischees eines schachernden Juden, was soviel bedeutet, dass Juden in Geldgeschäften „absolute Spitze“ seien, wird in einem Podcast (s.u.) erläutert. Gleichzeitig erfahren wir über die früheren Berufsmöglichkeiten der Jüdischen Bevölkerung, besser gesagt, welche Berufe sie ausüben durften bzw. ihnen zugewiesen wurden. Vor allem solche, die mit starken Gerüchen verbunden waren und somit nur außerhalb der Stadt ausgeübt werden konnten. In diesem wollte niemand anders gern seinen Lebensunterhalt verdienen, waren aber „für Juden gut genug“.

Der Begriff Antisemitismus

Prof. Dr. Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin schreibt in seinem Dossier zum Antisemitismus bei der bpb:

In Auszügen
„Es handelt sich beim Antisemitismus … um ein spezifisches Phänomen: eine antimoderne Weltanschauung, die in der Existenz der Juden die Ursache sozialer, politischer, religiöser und kultureller Probleme sieht. … Da diese „Machenschaften“ der Juden nach Meinung des Antisemiten verdeckt geschehen, gehört der Gestus des Entlarvens zum Kern antisemitischer Kommunikation, die sich dabei selbst häufig in die Form von Codes, Chiffren, Anspielungen, Mutmaßungen und Gerüchten …, um nicht mit der angeblichen jüdischen Macht zu kollidieren, zumal die Antisemiten sich immer in der Defensive wähnen und ihren Antisemitismus als einen berechtigten Abwehrkampf verstehen. … … Wie andere Formen verschwörungstheoretischen Denkens, … entzieht sich auch der Antisemitismus einer rationalen Diskussion. …“.
Zitatende

Dossier in Gesamtlänge bei der bpb
Sehr empfehlenswert!

► ► Am 8. November 2023 beschreibt der DLF in seiner Sendung den Antisemitismus mit den Worten:

„Es gibt keine allgemein verbindliche Definition des Begriffs. Oft wird die sogenannte Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance herangezogen.
Sie lautet: Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.
[…]
Die Bundesregierung unter Angela Merkel hatte diese Definition 2017 angenommen und erweitert: Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.

Der gesamte Text ist im DLF nachzulesen

Judenfeindlichkeit

Um rasch einen kurzen Überblick zum Thema Judenfeindlichkeit zu bekommen, greife ich aus dem folgenden Beitrag nur einzelne Passagen heraus, ► rate aber dringend, zum Abschluss den gesamten Beitrag zu lesen, wie bei anderen Hinweislinks auch. Am 07.07.2014 gibt Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum in der Zeitschrift aPUZ einen historischen Überblick unter der Überschrift

Von der Judenfeindschaft zum Antisemitismus

In Auszügen
„Der moderne Antisemitismus beerbt ältere Formen der Judenfeindschaft. Wurzelnd im christlichen Antijudaismus löst sich der neuzeitliche Judenhass von religiösen Motiven ab, gipfelt im NS-Vernichtungsantisemitismus und wirkt bis in die Gegenwart fort.
… Die Judenfeindschaft hat „ihre Wurzeln in religiösen Vorurteilen und Stereotypen, in der christlich-jüdischen Differenz, oder genauer: in der traditionellen Ablehnung des Judentums durch das Christentum und die christliche Welt“.
… ► Antike Judenfeindschaft
In der „jüdischen“ Wahrnehmung handelt es sich beim Antisemitismus um ein universales Phänomen. Dies ergibt sich aus der kulturellen Überlieferung des Judentums. Schon die Bibel schildert Anfeindungen und Verfolgungen des Volkes Israel durch seine Nachbarvölker. … (s. Geschichte der Esther. M.Budde)
Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive handelt es sich bei den biblischen Überlieferungen um Mythen, deren möglicher historischer Kern sich nicht belegen lässt. Fixierbar wird Judenfeindschaft, wo ergänzende Quellen und Überlieferungen sie bestätigen. Dies gilt für die hellenistisch-römische Epoche, vor allem die Zeit nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 70 unserer Zeitrechnung (u.Z.) und der Zerstreuung der Juden über das Römische Reich.
… ► Christlicher Antijudaismus
Die theologische Differenz liegt in der Frage begründet, ob Jesus der verheißene Messias sei oder nicht. Mit seinem missionarischen Verkündigungsanspruch sah sich das Christentum in Konkurrenz zum Judentum, aus dem heraus es entstanden war, von dem es sich aber bald absetzte. Bereits im 1. und 2. Jahrhundert wuchsen die Spannungen zwischen (Ur-)Christen und Juden. Im Zuge der Verbreitung des Christentums im Römischen Reich und seiner Etablierung als Staatsreligion an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert erließen verschiedene Konzile antijüdische Edikte, die aus den Juden eine geduldete, aber diskriminierte Minderheit machten. …
… Schon in der Spätantike kam es zu gewalttätigen Übergriffen von Christen gegen Juden. Als im Mittelalter die ersten christlichen Eiferer 1096 zum Volkskreuzzug aufbrachen, vernichteten sie unter dem Schlachtruf „deus lo vult!“ („Gott will es!“) die Zentren jüdischer Gelehrsamkeit am Mittelrhein: Speyer, Worms und Mainz.
… In Judengassen und Judenvierteln von der mittelalterlichen Mehrheitsgesellschaft abgesondert, wurden die Juden durch Kleiderordnungen und andere Markierungen (Judenhut, gelber Fleck) stigmatisiert. Von den wichtigsten beiden Wirtschaftszweigen, der Landwirtschaft und dem Handwerk, waren sie ebenso ausgeschlossen wie vom Klerus.
… Das christliche Zinsverbot galt indes nicht für Juden.
… Eine angeblich besonders enge Verbindung des Judentums zum Geld zählt seither zu den festen Bestandteilen judenfeindlicher Agitation.
… ► Moderner Antisemitismus
Im Laufe des 19. Jahrhunderts verändert sich der Charakter der Judenfeindschaft. Sie richtet sich nun gegen die rechtliche und soziale Gleichstellung der Juden, will deren Emanzipation verhindern oder rückgängig machen. Zugleich werden „die Juden“ immer stärker zu einer Chiffre für alle gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, die im Zuge der Modernisierung bemängelt werden. Miteinander verwobene „fundamentale gesellschaftliche Umwälzungen“ prägen die Entstehungszeit des Antisemitismus. Hierzu zählen unter anderem Industrialisierung und Urbanisierung, Säkularisierung und Nationalisierung.
… Ausschreitungen gegen Juden im Russischen Reich erregten große Aufmerksamkeit in Europa. Das russische Wort Pogrom wurde seit dem 19. Jahrhundert in vielen Sprachen zum Ausdruck für derartige spontane kollektive Gewaltakte gegen Minderheiten. …
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wird der Begriff Antisemitismus von politischen Judengegnern als Eigenbezeichnung aufgegriffen. …“
Zitatende
► Diese Auszüge allein mögen Anlass sein, die beiden nicht zitierten Kapitel „Judenfeindschaft „nach Auschwitz“ und „Ein todtes Meer voll Gift und Haß“ zusammen mit den ausführlichen Beiträgen der Zeitschrift aPUZ – aus Politik und Zeitgeschichte – zu lesen.

Kurze Geschichte des Antisemitismus

„Peter Schäfers erhellendes Buch ist Pflichtlektüre für alle, die besser verstehen wollen, warum der Antisemitismus so alt und zugleich so aktuell ist und was er für Juden in der Nachbarschaft, in Israel und überall auf der Welt bedeutet.“ Schreibt der C. H. Beck-Verlag über das 2020 erschienene Buch. Peter Schäfer, Professor em. für Judaistik an der Freien Universität Berlin, war bis 2019 Direktor des Jüdischen Museums Berlin, lehrte an der Princeton University und wurde 2021 in den Orden Pour le Mérite aufgenommen. So liest man über den Autor im Verlag:

Inhalt der acht Kapitel:
1 Griechisch-Römische Antike
– Die Diffamierung der Juden als Menschen- und Fremdenfeinde
2 Das Neue Testament
– Von innerjüdischer Polemik zu christlichem Antisemitismus
3 Die christliche Spätantike
– Der jüdische Stachel im Fleische des Christentums
4 Der Islam
– Juden und Christen als Schutzbefohlene
5 Das christliche Mittelalter
– Schutz, Ausbeutung und Verfolgung
6 Frühe Neuzeit
– Zwischen Hebraismus und Antisemitismus
7 Das  Zeitalter von Aufklärung, Emanzipation und Nationalismus
– Gesellschaftlich akzeptierter Antisemitismus
8 Von den Weltkriegen bis zur Gegenwart
– Vernichtungsantisemitismus und die Wiederkehr des Verdrängten

Schlägt man das Buch auf, ist man von der klaren Sprache beeindruckt. Keine nüchterne wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine für jeden gut verständliche Ausdrucksform führen den Leser ein in das erforderliche Geschichtswissen, um sich nach und nach die Zusammenhänge anzueignen. Hier ein kurzer Ausschnitt:

„Der Siegeszug des jungen Alexander eröffnete ein ganz neues Kapitel in der Geschichte des Vorderen Orients. Zwar waren die westlichen Gebiete des persischen Großreiches – darunter auch die Küstenebene des später «Palästina» genannten fruchtbaren Landstrichs zwischen Syrien im Norden und Ägypten im Süden – wirtschaftlich und kulturell schon lange nach Griechenland hin orientiert, doch wurden sie nun auch militärisch und politisch in die umfassende Ökumene des neuen hellenistischen Großreiches integriert. Auch das kleine und politisch unbedeutende Judäa wurde Teil dieser Ökumene, die sich als Zentrum und Speerspitze der zivilisierten Welt verstand. Wer außerhalb dieser Zivilisation stand, die durch einen einheitlichen Wirtschaftsraum, gemeinsame Werte, gemeinsame religiöse Grundüberzeugungen und gemeinsame kulturelle Errungenschaften geprägt war, und ihr auch nicht durch Eroberung und Unterwerfung eingegliedert werden konnte, war ein verachteter Barbar.“

Buchbesprechungen sind in fast allen Sendeanstalten zu finden. Empfehlen möchte ich aber den „Blick ins Buch“ von beachtlichen 35 Seiten des Verlages.
Inzwischen auch als ebook

Peter Schäfer liest aus seinem Buch. Sie sehen eine Aufzeichnung aus dem Jahr 2020

„Gegen das Schweigen. Gegen Antisemitismus.“

„… vereint gegen das Schweigen, gegen Antisemitismus und zugleich – wenn ich das sagen darf – für ein gemeinsames friedliches, Zukunft gewandtes Zusammenleben von jüdischen und nichtjüdischen Menschen, von Muslimen, Palästinensern, Israelis, Deutschen und Nichtdeutschen, kurz – für alle Menschen in unserem Land.“

Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensemble bei der Einführung zum Konzert.

Mit diesen Worten führte der Intendant des Berliner Ensemble in das mehr als 3-stündige Solidaritätskonzert am 27.11.2023 in seinem Hause ein. Viele Künstlerinnen und Künstler und andere prominente Kulturschaffende haben spontan ihre Bereitschaft zur Mitwirkung bekundet, „… um mit Musik und Literatur gemeinsam ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und Hass zu setzen.“ (Berliner Ensemble)
Mit dabei waren Margot Friedländer, Michel Friedman, Wolf Biermann, Sven Regener, Ulrich Noethen und viele mehr. Die Veranstaltung fand statt auf Initiative des Pianisten Igor Levit und des Publizisten Michel Friedmann.
Gleich zu Beginn legte die Musik Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“ mit Cosima Soulez Larivière Violine und Igor Levit am Klavier eine meditative Ruhe über den dunklen Konzertraum, gleichsam vorbereitend auf die anschließenden Worte Margot Friedländers. Beeindruckend die Gedanken dieser 102-jährigen Holocaust Überlebenden. Ansprachen, Lesungen und Musik unterschiedlicher Genre folgten und machten den Abend auch noch beim Nachhören zu einem tief gehenden Erlebnis. Lassen Sie sich das nicht entgehen, bevor es nach zwei Jahren ab 27.11.2025 in der Mediathek nicht mehr zur Verfügung steht. Zum Konzert in der ARD Mediathek
Margret Budde

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner