Kurze Geschichte der Migration
Was ist eigentlich Migration und bedeutet Flucht immer Migration? So oder ähnlich lauten, trotz aller aufgeheizter Diskussion, durchaus immer wieder die Fragen. Ein kleines, schnell informierendes Taschenbuch zum Thema Migration und seine Geschichte schafft vielleicht nicht allumfassend Auskunft, aber eine kompakte Basis wird gelegt und Interesse geweckt, sich darüber hinaus zu informieren. Und Sachlichkeit ist derzeit auch nicht fehl am Platze. Der Autor ist Professor für Demographie an der Universität Florenz.
„Sich räumlich zu bewegen, ist eine Wesenseigenheit des Menschen, ein Bestandteil seines Kapitals, eine zusätzliche Fähigkeit, um seine Lebensumstände zu verbessern. Es ist diese tief im Wesen des Menschen verwurzelte Eigenschaft, die das Überleben der Jäger und Sammler, die Verbreitung der menschlichen Spezies über die Kontinente, die Verbreitung des Ackerbaus, die Besiedelung leerer Räume, die Integration der Welt und die erste Globalisierung im 19. Jahrhundert ermöglichte.“
Geschichte
Die Geschichte der Migration beginnt dort, wo der Mensch seinen Ursprung hat – in Äquatorialafrika. Im Laufe der Menschheitsgeschichte kamen dann übrigens vor ca. 9000 Jahren auch schon mal Menschen aus dem Nahen Osten in den Süden Europas, um sich dann bis auf die Britischen Inseln fortzubewegen, immer auf der Suche nach Land für Ackerbau. Zunächst unbedrängt, kam es dann doch immer öfter zu Auseinandersetzungen mit bereits angesiedelter Bevölkerung.
Es kam aber auch, wie etwa im Mittelalter zu Kolonisierungen, also von Herrschern unterstützte Migrationen, man denke da also an das heute östliche Deutschland oder Polen. Es dauert dann auch nicht mehr lange, bis die Menschen nach Übersee auswandern. Auf beiden Seiten, also bei den Zurückbleibenden und den Neuankömmlingen zeitigte das Verbesserungen der Lebenssituation, die einen hatten weniger Überlebenskampf und die anderen konnten sich eine neue Existenz aufbauen. Das bedeutete zugleich, dass Migration eine große Bedeutung für die Fortentwicklung von Gesellschaften war.
Nicht zuletzt war aber immer wieder Armut und Hunger ein Grund für das Verlassen der Heimat, für den Versuch eines Neuanfangs in der Fremde, man denke an das 19. Jahrhundert mit Millionen von Europäern, die sich den amerikanischen Kontinent als neue Heimat ausgewählt hatten, als Hoffnung für ein besseres Leben.
„Die Mobilität über geringe, mittlere, große oder sogar sehr große Entfernungen stellt eine bedeutende Kraft in der neuzeitlichen europäischen Gesellschaft dar, mit komplexen Implikationen für Demografie, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Migrationen sind keine Begleiterscheinungen, sondern eine strukturelle Komponente des sozialen Lebens.“
Dieses Bild veränderte sich erst nach dem 2. Weltkrieg wieder, auch Europa wurde wieder attraktiv für Zuwanderer. In Deutschland kennen wir die Anwerbungen von türkischen Arbeitskräften, womit man versuchte die Einwanderungen zu steuern. Natürlich, alles eigentlich bekannt, aber gut noch einmal sich zu vergegenwärtigen, wenn man denn über die aktuellen Fragen und Probleme diskutieren oder sich wenigstens ein eigenes Bild machen zu können. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Europäer über Jahrhunderte hinweg in der Migration ihr Heil zu suchen, in der Flucht aus der Armut.
Fazit
Was den historischen und theoretischen Teil des Buches angeht, ist es sehr gut zu gebrauchen, man bekommt schnell einen Überblick über die verschiedenen Migrationsströme. Da das Buch eigentlich von 2010 ist, dann 2014 in Italien eine zweite Auflage erfuhr, in Deutschland 2015 erschien und auch in dem Jahr bereits in zweiter Auflage, ist es am Ende des Buches doch ein bißchen enttäuschend, wie wenig die aktuelle Lage (etwa April 2015) eingeflossen ist, sie wurde nur erwähnt in dem Ausmaß wie es eben im Frühjahr sich abzeichnete, natürlich. Aber es hatte sich doch schon abgezeichnet, zumal die Lage in Syrien. Vor allem, was das bezüglich der Theorie der Migration bedeutet, mögliche Lösungsansätze wie sich die Flüchtlingskrise bewältigen ließe. Ja, seine Forderungen, internationale Übereinkünfte umzusetzen, die UN hat davon genug ins Leben gerufen, oder sein Ruf nach einer gemeinsamen europäischen Lösung, sind hier formuliert. Die Entwicklungen auf dem Balkan, aber auch auf dem Mittelmeer sprechen eine andere Sprache, Europa ist weit davon entfernt. Was also tun? Zumindest mal diese 160 Seiten lesen und eine gute Grundlage an Wissen haben.
Massimo Livi Bacci, Kurze Geschichte der Migration, Berlin 2.2015, Wagenbach TB
Ellen Salverius-Krökel