Alarmierende Zahlen
Kürzlich stolperte ich über eine große Zahl – 20 Millionen ältere Menschen, in diesem Fall Menschen über 70 Jahre, nutzen das Internet nicht. Kaum zu glauben, wo doch derzeit alle von der Digitalisierung sprechen. Da fragt man sich doch sofort, ob die älteren Menschen, fern von Schule und Beruf, vielleicht vergessen worden sind und was das eigentlich bedeuten würde.
Herkunft der Zahlen
Im November bzw. Dezember letzten Jahres wurde das Ergebnis einer Studie der Stiftung Digitale Chancen, zusammen mit der Telefónica Deutschland, mit dem Titel „Nutzung und Nutzen des Internets im Alter“ veröffentlicht. Erfragt wurde das Nutzerverhalten von 400 Seniorinnen und Senioren. In Seniorentreffs und Begegnungsstätten konnten sich Interessierte für acht Wochen einen Tablet-PC ausleihen und ein Begleitangebot nutzen. Die Befragung wurde zu Beginn und zu Ende der Ausleihzeit durchgeführt. Dabei wurden die Erwartungen am Anfang und die tatsächliche Nutzung dann am Ende erfragt.
Aus 10 Millionen …
Zuvor hatte einer der Autoren dieser Studie, Herbert Kubicek, schon in einem Buch erschreckende Zahlen vorgelegt: von den über 70-Jährigen haben in absoluten Zahlen mehr als 10 Millionen das Internet noch nie genutzt. Und zu allem Überfluß sind diese Zahlen seit 2001 auch nicht zurückgegangen, abzulesen an der sogenannten Alterslücke, also der Abstand zwischen den Nutzungsquoten der Jungen und Alten. Da kann man nur konstatieren, dass alle bisherigen Maßnahmen so gut wie gar nichts bewirkt haben.
… mach‘ 20 Millionen
Nimmt man nun die Ergebnisse der oben genannte neueren Studie hinzu, dann kommen zu den 10 Millionen Nicht-Nutzern noch weitere 10 Millionen Minimalnutzer hinzu. Das macht also 20 Millionen ältere Menschen, die ohne gezielte Unterstützung die Chancen der Digitalisierung nicht nutzen können. Wege ersparen, länger selbständig bleiben, Entlastungen im Gesundheitsbereich, alles Erwartungen, die sich aufgrund fehlender Akzeptanz unter älteren Menschen ohne geeignete Unterstützungsangebote nicht erfüllen.
Gründe
Am Ende hatte nur weniger als ein Viertel der Teilnehmenden an der Tablet-Aktion überhaupt online eingekauft oder andere Aktivitäten unternommen, die eben jene Erwartungen erfüllt hätten. Als Grund haben die Forscher festgemacht, dass diese höherschwelligen Anwendungen mit zunehmenden Alter seltener genutzt werden, obwohl sie gerade bei abnehmender Mobilität besonders nützlich sein können. Auch der Grund dafür konnte durch die Studie ermittelt werden: Es fehlt das Selbstvertrauen beim Umgang mit der neuen Technik, möglicherweise auftretende Probleme lassen die Menschen lieber verzichten. Darüber hinaus haben sie auch wenig Zutrauen in ihre Fähigkeiten, notwendige Kompetenzen in einem Kurs zu erwerben.
Masterplan
Abhilfe könnten kleine homogene Gruppen schaffen mit Anleitungen und praktischen Übungen, Hilfestellungen bei den Fragen zu Sicherheit und Verbraucherschutz und es sollten regelmäßige Sprechstunden angeboten werden. Zudem sollte die Vorgehensweise in der Studie, also Tablet-Ausleihe, Unterstützungsangebote in den verschiedenen Senioreneinrichtungen bundesweit ausgeweitet werden. Die Bundesregierung solle 30.000 Seniorentreffs und 3.000 Seniorenheime mit den notwendigen Dingen ausstatten, so der vorgelegte Masterplan, um dann in drei Jahren die zehnfache Anzahl älterer Menschen ohne eigene Investitionen mit ersten Erfahrungen und gesteigertem Selbstvertrauen auszustatten. Kostenpunkt: 50 Millionen Euro.
Zweifel
Sicherlich sollte man den guten Willen und den richtigen Schluß daraus nicht verneinen, doch scheinen mir die Lösungsvorschläge nicht ausreichend. Denn sicherlich ist die 3-monatige Ausleihe von Tablet-PCs ein guter Anfang, aber kauft man danach tatsächlich auch ein Gerät? Geht ein älterer Mensch tatsächlich in ein Technik-Kaufhaus und läßt sich auf ein Verkaufsgespräch mit den so deutlich jüngeren Verkäufern ein? Ohne den Kursleiter/die Kursleiterin? Die Sprache ist dort doch anders, technisch eben; und sich dann z.B. Nachfragen zuzutrauen, ist auch zu bezweifeln. Da muß auch der Handel sich verbessern.
Darüber hinaus verschafft der Umgang mit dieser Technik auch die Kompetenz mit Fahrschein- und Geldautomatehn u.ä umzugehen. Und auch die Ticket-Verkaufsstellen werden weniger, so dass Theater-, Konzert- und andere Event-Tickets vielerorts nur noch online verfügbar sind. Also sind die älteren Menschen in Zukunft an Vielem nicht mehr beteiligt – Einsamkeit im Alter schreitet auch auf diesem Wege voran.
Und weiter: reichen die 50 Millionen Euro? Reicht das Beratungsangebot? Was macht ein älterer Mensch ohne Gerät? Und ganz zum Schluß der vielleicht größte Zweifel: wenn denn laut Umfragen die Älteren eh schon das Gefühl haben, die Politik würde ihre Sorgen nicht ernst nehmen, ihre Generation würde abgehängt werden. Kann die Politik diese Angst nehmen, wenn sie nicht schleunigst tätig wird? Und was sagt eigentlich der Koalitionsvertrag dazu?
Quelle dieses Beitrags:
„Bleiben 20 Millionen ältere Menschen bei der Digitalisierung außen vor?“
Katharina Gelhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Stiftung Digitale Chancen
Zur weiteren Information:
Zur Studie und ihren Ergebnissen
Der Masterplan wird ausführlich begründet in dem Buch: Herbert Kubicek und Barbara Lippa: Nutzung und Nutzen des Internets im Alter.
Empirische Befunde zur Alterslücke und Empfehlungen für eine responsive Digitalisierungspolitik,
Vistas Verlag, 2017
Ellen Salverius-Krökel