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Von den zwölf Monaten

Märchen aus der Slowakei

Es war einmal eine Mutter, die hatte zwei Töchter; ihre eigene und ihre Stieftochter. Die eigene Tochter hatte sie sehr lieb. Jedoch die Stieftochter konnte sie nicht einmal ansehen, weil sie schöner war als ihre eigene. Die gute Maruschka wußte nichts von ihrer Schönheit. Sie konnte sich gar nicht erklären, …

… warum die Mutter so böse sei, so oft sie sie ansehe. Alle Arbeiten musste sie verrichten: die Stube aufräumen, kochen, waschen, nähen, spinnen, weben, Gras zutragen und die Kuh versorgen. Holena putzte sich nur und ging müßig. Maruschka aber machte das Arbeiten Freude. Sie war geduldig und ertrug das Schelten und Fluchen von Schwester und Mutter wie ein Lamm.

Allein dies half nichts. Von Tag zu Tag wurden beide schlimmer. Je länger die Zeit dahinging, desto schöner ward Maruschka und Holena desto garstiger. Die Mutter dachte bei sich: „Wozu soll ich die schöne Stieftochter im Hause leiden, wenn meine eigene Tochter nicht auch so ist? Wenn die Burschen auf Brautschau kommen, wird ihnen Maruschka gefallen, jedoch Holena werden sie nicht haben wollen!“
Von diesem Augenblick an suchte sie die arme Maruschka loszuwerden. Sie quälte sie mit Hunger und schlug sie. Doch Maruschka ertrug es geduldig und ward von Tag zu Tag schöner. Mutter und Schwester ersannen Qualen, wie sie braven Menschen gar nicht in den Sinn gekommen wären.

Eines Tages – es war in der Mitte des Eismonats – wollte Holena Veilchen haben. „Geh, Maruschka, bring mir aus dem Wald einen Veilchenstrauß! Ich will ihn hinter den Gürtel stecken und an ihm riechen!“ befahl sie der Schwester.
„Ach Gott, liebe Schwester, was fällt dir ein! Hab nie gehört, dass unter dem Schnee Veilchen wüchsen,“ versetzte das arme Mädchen.
„Du nichtsnutziges Ding, du Kröte! Du widersprichst, wenn ich befehle? Gleich wirst du in den Wald gehen, und bringst du keine Veilchen, so schlag‘ ich dich tot!“ drohte Holena. Die Stiefmutter fasste Maruschka, stieß sie zur Tür hinaus und schloss diese hinter ihr.
Bitter weinend lief das Mädchen in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgends waren Fußstapfen zu entdecken. Die Arme irrte lange umher. Inzwischen plagte sie der Hunger, die Kälte schüttelte sie und sie bat Gott, er möchte sie lieber aus der Welt nehmen. Da gewahrte sie in der Ferne ein Licht. Sie ging dem Leuchten nach und kam auf einen Berg, auf dessen Gipfel ein großes Feuer brannte. Zwölf Steine lagen darum und darauf saßen zwölf Männer. Drei waren graubärtig, drei waren jünger, drei waren noch jünger, und die drei jüngsten waren die schönsten. Sie redeten nicht, sie blickten still in das Feuer.

Die zwölf Männer waren die zwölf Monate. Der Eismonat saß obenan. Er hatte Haare und Bart weiß wie der Schnee. In der Hand hielt er einen Stab. Als Maruschka ihn erblickte, erschrak sie und blieb eine Weile verwundert stehen. Dann aber fasste sie Mut, trat näher und bat: „Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme. Die Kälte schüttelt mich!“
Der Eismonat nickte und fragte: „Weshalb bist du hergekommen, Mädchen? Was suchst du hier?“
„Ich suche Veilchen,“ antwortete Maruschka.
„Es ist nicht an der Zeit, Veilchen zu suchen, wenn Schnee liegt,“ sagte der Eismonat.
„Ich weiß wohl,“ entgegnete Maruschka traurig, „allein Schwester Holena und die Stiefmutter haben mir befohlen, Veilchen aus dem Wald zu bringen. Bring ich sie nicht, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, ihr Herren, sagt mir, wo ich deren finde?“
Da erhob sich der Eismonat, schritt zu dem jüngsten Monat, gab ihm den Stab in die Hand und sprach: „Bruder März, setz Dich obenan!“

Der Monat März setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. In dem Augenblick loderte das Feuer auf. Der Schnee begann zu schmelzen, die Bäume trieben Knospen, unter den Buchen grünte das Gras, es keimten bunte Blumen und es ward Frühling. Ganz verborgen unterm Gesträuch blühten Veilchen. Und ehe Maruschka sich versah, gab es ihrer so viele, als ob einer ein blaues Tuch ausgebreitet hätte.
„Schnell, Maruschka, pflücke!“ gebot der März.
Maruschka pflückte freudig, bis sie einen großen Strauß beisammen hatte.
Dann dankte sie den Monaten und eilte froh nach Hause. Holena und die Stiefmutter wunderten sich, als sie Maruschka sahen, wie sie einen Veilchenstrauß trug. Sie gingen ihr die Tür zu öffnen und der Duft der Veilchen ergoss sich durch die ganze Hütte.
„Wo hast du sie gepflückt?“ fragte Holena störrisch.
„Hoch auf dem Berge. Dort wuchsen ihrer unterm Gesträuch in Mengen,“ erwiderte Maruschka.
Holena nahm die Veilchen, steckte sie hinter den Gürtel, roch an ihnen und ließ die Mutter riechen. Zur Schwester sagte sie nicht einmal: „Rieche auch!“

Des andern Tages saß Holena müßig beim Ofen, und es gelüstete sie nach Erdbeeren.
„Geh, Maruschka, bring mir Erdbeeren aus dem Wald!“ befahl Holena der Schwester.
„Ach Gott, liebe Schwester, wo werde ich Erdbeeren finden! Habe nie gehört, dass unter dem Schnee Erdbeeren wüchsen,“ versetzte Maruschka.
„Du nichtsnutziges Ding, du Kröte! Du widersprichst, wenn ich befehle? Gleich geh in den Wald. Und bringst du keine Erdbeeren, wahrlich, so schlag ich dich tot!“ drohte die böse Holena. Die Stiefmutter faßte Maruschka, stieß sie zur Tür hinaus, und schloss diese fest hinter ihr.
Weinend lief das Mädchen in den Wald. Der Schnee lag hoch und Fußstapfen waren nirgends zu sehen. Die Arme irrte und irrte umher. Der Hunger plagte und die Kälte schüttelte sie. Da gewahrte sie in der Ferne dasselbe Feuer, das sie am Tag zuvor gesehen hatte.

Mit Freuden eilte sie darauf zu. Auch heute saßen die zwölf Monate rings um das große Feuer, der Eismonat obenan.
„Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, die Kälte schüttelt mich,“ bat Maruschka.
Der Eismonat nickte und fragte: „Warum bist du wieder gekommen, was suchst du?“
„Ich suche Erdbeeren,“ entgegnete Maruschka.
„Es ist nicht an der Zeit, Erdbeeren zu suchen, wenn Schnee liegt,“ sagte der Eismonat.
„Ich weiß wohl,“ antwortete Maruschka traurig, „allein Schwester Holena und meine Stiefmutter haben mir befohlen, Erdbeeren zu bringen. Bring ich sie nicht, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, ihr Herren, sagt mir, wo ich deren finde!“ Der Eismonat erhob sich, schritt zum Monat, der ihm gegenübersaß, gab ihm den Stab in die Hand und sprach: „Bruder Juni, setz dich obenan!“

Der schöne Monat Juni setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. In dem Augenblick schlug die Flamme hoch empor, der Schnee zerschmolz, die Erde grünte, Bäume umhüllten sich mit Laub, Vögel begannen zu singen, mannichfaltige Blumen blühten im Walde und es war Sommer. Weiße Sternlein gab es, als ob jemand sie dahingesät hätte. Sichtbar aber verwandelten sich die weißen Sternlein in Erdbeeren. Die Erdbeeren reiften schnell, und eh Maruschka sich versah, gab es ihrer viele in dem grünen Rasen, als ob jemand Blut ausgegossen hätte.
„Schnell, Maruschka, pflücke!“ gebot der Juni. Maruschka pflückte freudig, bis sie die Schürze voll hatte. Dann dankte sie den Monaten und eilte froh nach Hause.
Holena und die Stiefmutter wunderten sich, als sie sahen, daß Maruschka in der Tat Erdbeeren bringe, die ganze Schürze voll. Sie liefen ihr die Tür zu öffnen, und der Duft der Erdbeeren ergoss sich durch die ganze Hütte.
„Wo hast du sie gepflückt?“ fragte Holena störrisch.
„Hoch auf dem Berge, dort wachsen ihrer in Fülle unter den Buchen,“ erwiderte Maruschka. Holena nahm die Erdbeeren, aß sich satt und gab auch der Mutter zu essen. Zu Maruschka sagte sie nicht einmal: „Koste auch!“

Holena hatten die Erdbeeren gut geschmeckt, und es gelüstete sie des dritten Tages nach roten Äpfeln. „Geh in den Wald, Maruschka, und bring mir rote Äpfel!“ befahl sie der Schwester.
„Ach Gott, liebe Schwester, woher sollen im Winter Äpfel kommen?“ versetzte die arme Maruschka.
„Du nichtsnutziges Ding, du Kröte! Du widersprichst, wenn ich befehle?
Gleich geh in den Wald. Und bringst du keine roten Äpfel, wahrlich, so schlag ich dich tot!“ drohte die böse Holena. Die Stiefmutter fasste Maruschka, stieß sie zur Tür hinaus und schloss diese fest hinter ihr. Das Mädchen eilte bitter weinend in den Wald. Der Schnee lag hoch und Fußstapfen waren nirgends zu sehen.

Allein das Mädchen irrte nicht umher, es ging gerade auf den Gipfel des Berges zu, wo das große Feuer brannte und die zwölf Monate saßen. Wirklich, sie saßen dort, der Eismonat obenan. „Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme. Kälte schüttelt mich,“ bat Maruschka, und trat zum Feuer. Der Eismonat nickte und fragte: „Weshalb bist du wieder gekommen, was suchst du hier?“
„Ich suche rote Äpfel,“ antwortete Maruschka.
„Es ist nicht an der Zeit,“ sagte der Eismonat.
„Ich weiß wohl,“ entgegnete Maruschka traurig, „allein Schwester Holena und meine Stiefmutter haben mir befohlen, rote Äpfel aus dem Wald zu bringen. Bring ich sie nicht, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, Ihr Herren, sagt mir, wo ich deren finde!“
Da erhob sich der Eismonat, schritt zu einem der älteren Monate, gab ihm den Stab in die Hand und sprach: „Bruder September, setze dich obenan!“

Der Monat September setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. Das Feuer glühte rot, der Schnee verlor sich. Aber die Bäume umhüllten sich nicht mit Laub. Ein Blatt nach dem anderen fielen ab, und der kühle Wind verstreute sie auf dem fahlen Rasen. Eines dahin, das andere dorthin. Niemals hatte Maruschka so viele bunte Blumen gesehen. Am Talhang blühten Altmannskraut und rote Nelken. Im Tal standen gelbliche Eschen. Unter den Buchen wuchsen hohes Farrenkraut und dichtes Immergrün. Maruschka blickte sich um nach roten Äpfeln. Da gewahrte sie in der Tat einen Apfelbaum und hoch auf ihm zwischen den Zweigen rote Äpfel.
„Schnell, Maruschka, schüttele!“ gebot der September. Maruschka schüttelte freudig den Apfelbaum, ein Apfel fiel herab. Maruschka schüttelte noch einmal, ein zweiter fiel herab.
„Schnell, Maruschka, eile nach Hause!“ gebot der September. Maruschka gehorchte. Nahm die zwei Äpfel, dankte den Monaten und eilte froh nach Hause. Holena und die Stiefmutter wunderten sich, als sie sahen, dass Maruschka Äpfel bringe. Sie liefen, ihr die Tür zu öffnen. Maruschka gab ihnen die zwei Äpfel. „Wo hast du sie gepflückt?“
„Hoch auf dem Berg! Sie wachsen dort! Und noch gibt’s ihrer dort genug,“ erwiderte Maruschka.

„Warum hast du nicht mehr gebracht? Oder hast du sie unterwegs gegessen?“ fuhr Holena zornig gegen sie los.
„Ach, liebe Schwester, ich habe keinen Bissen gegessen. Ich schüttelte einmal, da fiel ein Apfel herab; ich schüttelte zum zweiten Mal, da fiel noch einer herab. Länger zu schütteln erlaubten sie mir nicht. Sie hießen mich nach Hause gehen,“ sagte Maruschka.
„Daß der Donner in dich fahre!“ fluchte Holena und wollte Maruschka schlagen. Maruschka brach in Tränen aus und bat Gott, er solle sie lieber zu sich nehmen, und sie nicht von der bösen Schwester und Stiefmutter erschlagen lassen. Sie floh in die Küche.

Die genäschige Holena ließ das Fluchen und begann einen Apfel zu essen. Der Apfel schmeckte ihr so gut, dass sie versicherte, noch niemals in ihrem Leben so etwas Köstliches gegessen zu haben. Auch die Stiefmutter ließ es sich gut schmecken. Sie aßen die Äpfel und es gelüstete sie nach mehr.
„Mutter, gib mir meinen Pelz! ich will selbst in den Wald gehen,“ sagte Holena.
„Das nichtsnutzige Ding würde sie wieder unterwegs essen. Ich will schon den Ort finden und sie alle herabschütteln, ob es wer erlaubt oder nicht!“ Vergeblich riet die Mutter ab.
Holena zog den Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf und eilte in den Wald. Die Mutter stand auf der Schwelle und sah ihr nach. Alles lag voll Schnee. Nirgends waren Fußstapfen zu sehen. Holena irrte und irrte umher. Ihre Genäschigkeit trieb sie immer weiter. Da gewahrte sie in der Ferne ein Licht, eilte darauf zu und gelangte auf den Gipfel, wo ein Feuer brannte. Rings um das Feuer lagen zwölf Steine, auf denen die zwölf Monate saßen. Holena erschrak. Bald fasste sie sich wieder, trat näher an das Feuer und streckte die Hände aus, um sich zu wärmen. Sie fragt die Monate nicht ‚darf ich mich wärmen?‘ und sprach kein Wort zu ihnen.
„Was suchst du hier, warum bist du hergekommen?“ fragte verdrießlich der Eismonat.
„Wozu fragst du, du alter Tor? Du brauchst nicht zu wissen, wohin ich gehe!“ fertigte ihn Holena störrisch ab, wendete sich vom Feuer und lief in den Wald. Der Eismonat runzelte die Stirn und schwang seinen Stab über seinem Haupt. In diesem Augenblick verfinsterte sich der Himmel. Das Feuer brannte nieder und Schnee begann zu fallen, als ob jemand ein Federbett ausgeschüttelt hätte. Holena sah nicht einen Schritt mehr vor sich. Sie irrte umher und stürzte in eine Schneewehe. Ihre Glieder ermatteten. Unaufhörlich fiel der Schnee und eisiger Wind wehte durch den Wald. Holena fluchte der Schwester und fluchte dem lieben Gott. Ihre Glieder erfroren im warmen Pelz.

Die Mutter harrte auf Holena und blickte zum Fenster, dann auch zur Tür heraus, konnte jedoch die Tochter nicht entdecken. Stunde auf Stunde verstrich, aber Holena kam nicht.
„Vielleicht schmecken ihr die Äpfel so gut, dass sie sich nicht von ihnen trennen kann,“ dachte die Mutter, „ich muss nach ihr sehen!“ Zog ihren Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf und ging Holena zu suchen. Alles lag voll Schnee, nirgends waren Fußstapfen zu sehen. Sie rief „Holena“, aber niemand meldete sich. Sie irrte lange durch den Wald. Der Schnee fiel immer dichter.
Maruschka kochte das Essen, besorgte die Kuh. Doch weder Holena noch die Stiefmutter kamen.
„Wo bleiben sie so lange!“ sprach Maruschka zu sich und setzte sich zum Spinnrocken. Schon war die Spindel voll und es dämmerte es in der Stube. Jedoch es kamen weder Holena noch die Stiefmutter.
„Ach Gott, was ist ihnen zugestoßen?“ klagte das gute Mädchen und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel strahlte von Sternen und die Erde glänzte vom Schnee. Niemand ließ sich sehen.

Traurig schloß Maruschka das Fenster, machte das Kreuz und betete ein Vaterunser für die Schwester und die Mutter. Des andern Tages wartete sie mit dem Frühstück, wartete mit dem Mittagsmahl. Doch sie erharrte weder Holena noch die Stiefmutter.
Beide waren im Wald erfroren.
Der guten Maruschka blieben die Hütte, die Kuh und ein Stückchen Feld. Alsbald fand sich ein Hausherr dazu und beide lebten in Frieden und glücklich miteinander.

Margret Budde

Erzählt nach: Westslawischer Märchenschatz von Joseph Wenzig
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